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    Demographie

    In die Zukunft geschaut: So altert und schrumpft unser Land.

    Demographie | 11.3.2016 Drucken

    Mythen im demografischen Wandel

    „Der Untergang ist abgesagt“ – unter diesem Titel hat der Volkswirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar in diesen Tagen ein neues Buch veröffentlicht. Damit verbannt er die verbreiteten Ansichten über den demografischen Wandel ins Reich der Mythen, begibt sich in die wissenschaftliche Kontroverse mit vielen seiner Kollegen.

    Seiner Meinung nach weckt der demografische Wandel Ängste und Vorurteile, die nicht gerechtfertigt sind. Es gebe keinen Grund zur Panik. Das DIA sprach mit ihm über Prognosen, die eigentlich nur Projektionen sind, über fatale Fehleinschätzungen und seine Vorschläge an die Politik.

    Thomas Straubhaar: Mythen im demografischen WandelDer Untertitel Ihres neuen Buches irritiert. Wider die Mythen des demografischen Wandels, heißt es auf dem Cover. Bislang war die wissenschaftliche und politische Meinung sich relativ einig, worin der demografische Wandel besteht und was er bewirkt. Sind wir wirklich einem Mythos auf den Leim gegangen?

    Die Folgen des demografischen Wandels werden weit überschätzt. Er findet ohne Frage statt. Deutschlands Bevölkerung altert und schrumpft. Als ich das Buch zu schreiben begann, dachte ich sogar, dass wir relativ schnell schrumpfen. Mit einer Million Zuwanderung im vergangenen Jahr und vielleicht auch in diesem Jahr wissen wir aber inzwischen, dass die Schrumpfung gar nicht so schnell akut wird. Ich leugne auch die Alterung nicht. Dazu wird es kommen, trotz starker Zuwanderung, weil auch die Zugewanderten älter werden. Aber wir müssen aufhören, den demografischen Wandel als in Stein gemeißelt zu betrachten. Die Folgen dieses Wandels werden weit bescheidener sein, als die meisten heute vermuten. Die meisten Probleme, die damit einhergehen, sind vom Menschen gemacht, durch die selbst geschaffenen Rahmenbedingungen. Das hat mit Demografie nur indirekt zu tun, hingegen viel mehr mit Politik. Daher meine Mahnung: Hört auf, Zuwanderung zu instrumentalisieren.

    Sie zweifeln die langfristigen demografischen Projektionen an, obwohl – abgesehen von der Nettozuwanderung – die anderen Größen recht gut vorhersagbar sind. Woher rührt Ihre Skepsis zum Beispiel gegenüber der Bevölkerungsvorausberechnung?

    Lange Zeit habe ich auch angenommen, dass diese Projektionen zuverlässig zutreffen. Anders als bei Konjunkturprognosen, die ich in der Vergangenheit häufig aufgestellt habe, sind bei demografischen Prognosen die Eckvariablen gut bestimmbar. Aber dann habe ich mich in Vorbereitung auf das Buch intensiv mit der Qualität der Bevölkerungsprojektionen beschäftigt. Erste Erkenntnis: Diese Projektionen lagen immer daneben. Zweite Erkenntnis: Die tatsächliche Entwicklung rangierte nicht, wie zu erwarten wäre, zwischen dem niedrigen und dem hohen Szenario. Die Realität schoss meistens über die angenommenen Extreme hinaus. Da habe ich mich gefragt: Wieso passiert das?

    „In langen Zeiträumen treten immer wieder brutale Brüche auf.“

    Verraten Sie uns Ihre Erklärung!

    Sie fällt ganz banal aus. Bei diesen Projektionen handelt es sich um sehr lange Zeiträume. 30, 40, 50 Jahre. In solch langen Zeitspannen, das lehrt die Geschichte, treten immer wieder brutale Brüche auf. Diese werfen alte Gewissheiten über den Haufen: Kriege, das Wirtschaftswunder, die Wiedervereinigung. Verhaltensänderungen sind möglich: Vielleicht bekommen Frauen künftig wieder mehr Kinder. Lediglich ein solcher Bruch genügt, damit die Entwicklung ihre Richtung ändert. Beispiel Zuwanderung: Wir hatten Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg, wir hatten einen Zustrom an Gastarbeitern, 16 Millionen neue Bürger durch die Wiedervereinigung, der Zusammenbruch der Sowjetunion löste die Rückkehr vieler Russlanddeutscher aus. In den nächsten 45 Jahren wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ein oder zwei solche Ereignisse geben, die die heutigen Berechnungen zu Makulatur werden lassen. Daher sollten Wissenschaftler viel behutsamer mit solchen Prognosen und Projektionen umgehen.

    Sie stellen ebenso die Unumkehrbarkeit des demografischen Wandels in Frage. Meinen Sie wirklich, dass die Alterung irgendwann stoppt und das Pendel in die Gegenrichtung ausschlägt?

    Die Alterung, so wie wir sie heute annehmen, hat eine enorm hohe Eintrittswahrscheinlichkeit. Sie lässt sich kaum mehr korrigieren. Selbst mit einer massenhaften Zuwanderung wird sie nicht aufzuhalten sein. Es fehlen die Mütter, die die Kinder zur Welt bringen, damit der Anteil der Jüngeren an der deutschen Bevölkerung wieder zunimmt. Aber die Folgen dieser Alterung sind nicht unumkehrbar.

    Ein Beispiel dafür: Auch ich habe vor einigen Jahren die Auffassung vertreten, dass wir eine stark zunehmende Zahl von Plätzen in Pflegeheimen künftig benötigen werden. Das war nicht zu Ende gedacht. Die Anzahl der Pflegeplätze wird nicht so dramatisch steigen, wie man heute glaubt, weil die Dauer der Pflege pro Person nicht zunimmt. Der Zeitraum verschiebt sich nur nach hinten. Die demografische Alterung findet statt. Das Medianalter wandert nach oben. Aber die Alten von heute und morgen haben mit den Alten von gestern nur wenig zu tun. So findet zugleich eine Verjüngung statt.

    „Die Prognosen über den Fachkräftemangel sind nicht seriös.“

    Stichwort Arbeitskräftemangel. Der 13. Bevölkerungsvorausberechnung zufolge sinkt die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 49,2 Millionen im Jahr 2013 auf 38 Millionen 2060. Dennoch ist auch der viel beschworene Fachkräftemangel Ihrer Ansicht nach eine Mär. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung, trotz der eindeutigen Zahlen?

    An den genannten Zahlen gibt es keine Zweifel. Aber die Lücken, die daraus abgeleitet werden, stelle ich in Frage. Die Verfechter der These vom Fachkräftemangel behaupten, dass die Personen im erwerbsfähigen Alter nicht genügen werden, um die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeit zu erfüllen. Das zweifle ich an. Der befürchtete Fachkräftemangel wird in einer Spanne von drei bis 15 Millionen beziffert. 15 Millionen fehlende Fachkräfte im Jahr 2030? Eine solche Prognose ist einfach nicht seriös.

    Was veranlasst Sie zu dieser Feststellung?

    Heute schon könnten sechs Millionen Menschen mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wenn wir die notwendigen Bedingungen schaffen würden. Damit meine ich nicht die stille Arbeitsmarktreserve im üblichen Sinne. Dieses zusätzliche Erwerbspotential bestünde, wenn die Arbeitskraft Älterer länger erhalten bliebe, wenn Menschen mit Migrationshintergrund auf die gleiche Weise in den Arbeitsmarkt eingebunden wären wie Menschen ohne Migrationshintergrund und wenn Frauen ebenso beschäftigt wären wie Männer. Diese sechs Millionen könnten wir schon heute einsetzen, nicht erst morgen oder übermorgen.

    Der zweite Faktor ist das Wachstum der Produktivität. Ich frage mich schon, warum meine Kollegen bislang nicht ermittelt haben, wie groß der jährliche Produktivitätsfortschritt sein müsste, damit die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte gerade genügt, um die Nachfrage der Unternehmen zu erfüllen. Bei 100.000 Nettozuwanderung pro Jahr kommt man auf 0,75 Prozent, bei 200.000 auf ein halbes Prozent. Das ist deutlich weniger Produktivitätsgewinn, als wir in den zurückliegenden Jahren erreicht haben. In dieser Rechnung sind die Folgen der Digitalisierung noch nicht einmal berücksichtigt. Wir werden den erforderlichen Produktivitätsfortschritt also übertreffen.

    „Das viel gepriesene Punktesystem von Kanada vermittelt eine Illusion.”

    Warum, meinen Sie, ignorieren Politik und Wirtschaft die eben geschilderten Fakten?

    Es gibt handfeste politökonomische Gründe, den Fachkräftemangel als demografisches Problem und nicht als hausgemachtes darzustellen. In ersterem Fall besteht die Chance, dass die Politik jenen entgegenkommt, die über den Fachkräftemangel jammern. Im anderen Fall müssten die eigenen Hausaufgaben ordentlich erledigt werden. Bevor wir über die Organisation neuer Zuwanderung sprechen, sollten wir die Menschen mit Migrationshintergrund, die schon hier sind, erfolgreicher integrieren. Das ist einfacher und kostengünstiger, als neue Arbeitsmigration zu schaffen. Außerdem leben in der Europäischen Union 500 Millionen Menschen, von denen können Sie mit links ein paar Millionen aktivieren, sollte es notwendig werden.

    Sie halten nicht viel von den Konzepten, mit denen zum Beispiel in Kanada oder Australien die Zuwanderung gesteuert wird und die oft auch als Beispiel für Deutschland angeführt werden. Welche Lösung schlagen Sie vor?

    Sie werden mich jetzt vielleicht für naiv halten: Aber das beste System ist die Lotterie. Das machen die Amerikaner zum Teil. Für die Arbeitsmigration sollte von einer Kommission, der Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft angehören, für jedes Jahr eine Quote festgelegt werden, die dann durch eine Lotterie vergeben wird. Wir brauchen eine Art amtlichen Sachverständigenrat für die Zuwanderung.

    Aber da wird Ihnen die Wirtschaft vorhalten, damit bekommen wir nicht jene Arbeitskräfte, die wir benötigen.

    Daher ja auch meine Aufforderung, hört auf, den Fachkräftemangel durch Zuwanderung lösen zu wollen. Das viel gepriesene Punktesystem von Kanada vermittelt eine Illusion. Damit holt sich Kanada Akademiker ins Land und kommt am Ende auf die weltweit größte Dichte von medizinisch geschulten Taxifahrern.

    Die Fragen stellte Klaus Morgenstern.


    Das Thema Demografie hat Thomas Straubhaar, der aus der Schweiz stammt, seit Kindheitstagen beschäftigt. Damals wurde sehr emotional in seinem Heimatland über die Gastarbeiter diskutiert, die gerufen worden waren. In seiner akademischen Karriere, heute ist er Professor für Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg, hat er sich immer wieder mit Migration beschäftigt. Die Modelle, die er in seiner Habilitationsschrift „On the Economics of International Labor Migration“ entwickelte, prägen noch heute sein Denken. Die beste Zuwanderungspolitik, so seine Auffassung, beruht nicht auf geschlossenen, sondern offenen Grenzen. Er macht aber sofort eine Einschränkung: Das gelte nicht, wenn die Unterschiede zwischen den Ländern zu groß sind. 


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